Kultur braucht Anerkennung

Kultur braucht Anerkennung
Kultur braucht Anerkennung | Bildquelle: Unsplash

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Kultur aus der Tiefe: Tanztheater und Clubkultur zwischen Möglichkeiten und Prekaritäten. Im Zuge der, durch die Covid-19 Pandemie herbeigeführten Kontaktbeschränkungen und Veranstaltungsverbote wurden große Teile des Kultursektors vor existentielle Herausforderungen gestellt. Der Autor der Studie, Nico Berthold, setzt sich exemplarisch anhand des »objekt klein a« (OKA), einem Dresdner Club im alternativen Milieu, und im Austausch mit Wiete Sommer, mit diesen Herausforderungen und möglichen Bewältigungsstrategien auseinander. Ursprünglich ist diese Studie gemeinsam mit fünf weiteren »Geschichten des Gelingens« in einem Sammelband bei Metropolis erschienen. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sieben Artikel unterteilt. Bei diesem Artikel handelt es sich um den ersten von sieben Teilen. Unterhalb des Artikels wird auf die weiteren Teile verwiesen. 


Die Barrieren auf dem Pfad der Gestaltung 

Dass die Möglichkeiten der Gestaltung für die heute Stimm- und Machtlosen begrenzt sind, ist kein Zufall. Aber es ist auch keine Notwendigkeit. Es ist Ausdruck von Machtverhältnissen, was bedeutet, dass die (Rück)Gewinnung von Stimme und Macht nicht ohne Widerstand vonstattengeht. Auch die Geschichte des Gelingens, die ich hier erzähle und die davon handelt, wie Deutungsmacht über die eigene Kulturarbeit erlangt wurde, verlief nicht immer reibungslos. Die Barrieren auf dem Pfad der Gestaltung lege ich im Folgenden dar.

Clubs are Culture – Experimentierräume und Brückenbau

Mit der institutionellen Förderung durch die Stadt Dresden konnte ein großer Schritt getan werden in Richtung einer Anerkennung von Kulturarbeit als ernstzunehmende, schützenswerte und förderwürdige Unternehmung. Dieser Mangel an Anerkennung, Deutungsmacht und Wertschätzung, so scheint es mir nach meinen Recherchen und Analysen, stellt eines der schwerwiegendsten Probleme der gesamten Clubkultur in Deutschland dar.

»Man muss ganz viel dafür tun, dass dieser Club einfach als Ort der Begegnung und als Brücke zwischen Hoch- und Subkultur wahrgenommen wird und nicht als Ort, wo Menschen konsumieren.«

(Interview Sommer)

Das OKA stand mit diesem Konflikt nicht allein da, auch in Berlin wurde beispielsweise schon vor der COVID-19-Pandemie ein Diskurs über dieses Thema geführt (Deutschlandfunk Nova 2020). Statt sich in diesen gesellschaftlichen Debatten Gehör verschaffen und die eigene Geschichte selbst erzählen zu können, sind die Betroffenen in der Regel und erster Linie nur Gegenstand von Fremddeutungen. Die gesellschaftliche Bedeutung, die Clubkultur mittlerweile für die freie Kulturszene und auch für die Städte in puncto Teilhabe und Begegnung hat, wurde lange Zeit missachtet. Das zeigt sich etwa daran, dass Clubs baurechtlich lange Zeit in dieselbe Schublade wie Spielotheken und Bordelle gesteckt wurden.

»Dabei wurde und wird häufig nicht gesehen, dass »wir diesen Club auch als Stadt brauchen. Also das kann mir keiner erzählen, dass die Stadt Dresden, dass die nicht auch ihre Vorteile zieht aus diesem Club. Also gerade was die Tourismusbranche angeht […] und halt auch Werbung. Werbemacher.«(Interview Sommer)

Ein Durchbruch mit transformativem Potenzial wurde erst beim Verfassen dieser Zeilen erreicht: Am 07. Mai 2021 kam es auf Bundesebene zum Entschluss, Musikclubs und Livespielstätten fortan auch auf baurechtlicher Ebene als »Anlagen für kulturelle Zwecke« (LiveKomm 2021) anzuerkennen und flexible und innovative Lösungen für den Lärmschutz zu ermöglichen. 

Nicht nur für die Städte und den lokalen Tourismus sind Clubs wie das objekt klein a von Relevanz. Auch aus ihrer Perspektive als Künstlerin und Projektinitiatorin betont Wiete Sommer, wie wichtig solche Orte für die Gesellschaft sind. Das objekt klein a manifestiert sich als ein Möglichkeitsraum, ein Probierfeld, das für Künstler*innen und Kulturakteur*innen niedrigschwelliger zu erreichen ist als die Orte der sogenannten Hochkultur. Sie sind somit für die einzelnen Akteur*innen »ein Ort des Experiments« (Interview Sommer). »Clubs sind für viele Szenen und Sub- Kulturen der Ort, an dem künstlerische Innovationen und Entwicklungen vorangetrieben werden« (SWR Fernsehen 2021).

»Ich denke halt, dass dieser Ort mir einfach die Freiheit gibt, um zu forschen und Projekte zu machen. Um auch einfach Dresden zu zeigen, was dieser Ort noch kann und was für Potenzial der hat.«

(Interview Sommer)

Den Ort der eigenen Unternehmung nicht in erster Linie in Größen von Kapitalrendite, Cashflow oder Deckungsbeiträgen zu bestimmen, sondern die eigene Kulturarbeit als Forschung zu reflektieren und zu behandeln, verweist nicht nur auf von Neugier geleitete Subjektivierungen, sondern gleichsam auf eine Organisation, die Freude am Tun, am Entdecken, am Neuen – kurz: am Lernen hat.

Barrieren durch Förderungsabhängigkeit

Der Mangel an gesellschaftlicher Wertschätzung, politischer Anerkennung und schlussendlich diskursiver Selbstbestimmung leitet zu der nächsten Hürde über, auf die ich im Rahmen meiner Analyse gestoßen bin: die Abhängigkeit von Förderungen. Auch wenn, wie oben beschrieben, einige Förderungen bewilligt wurden, fließen in Summe viele Ressourcen in Förderanträge, die schlussendlich nicht bewilligt werden:

»Ich finde, es ist ein ganz großes Unding, dass sich die Kultur- Szene in Zeiten der Pandemie noch für die Kulturförderung bewerben muss. […] Also, alle anderen Wirtschaftsunternehmen kriegen Kohle und wir müssen hier noch Förderanträge schreiben. […] Ich habe mich beim Bund beworben, mehrmals. Und ja, es ist einfach unglaublich kräftezehrend, weil überall auf den sozialen Netzwerken wird geworben. Für das Neue, für das nächste Programm, das ausgeschrieben wird. Und dann arbeitet man da echt drei Monate hart an dieser Ausschreibung und kriegt wieder eine Absage und wartet aber mindestens drei Monate.«

(ebd.)

Zurecht macht Wiete Sommer auf eine Dynamik aufmerksam, die ungeachtet der Pandemie fortgeführt wurde, obwohl zugleich in vielen anderen Sektoren der Zugang zu finanziellen Hilfen vereinfacht wurde. Die Kulturakteur*innen müssen sich trotz Pandemie weiterhin und kräftezehrend durch den Förderdschungel kämpfen, um ihre Projekte finanzieren zu können. Das auch hier wieder unbezahlte Arbeit geleistet wird, wird stillschweigend vorausgesetzt. Planungssicherheit für Projekte ist somit nicht gegeben und Frust systemisch gewollt, zumal unbesehen in der Wettbewerbslogik kompetitiver Förderungen Kunst zur Ware transformiert wird, die nicht mehr um ihrer selbst willen da ist, sondern um zu gefallen. »Was stellen die sich da vor? Wenn die hier einem irgendwie alle vier Jahre oder so ein Förderantrag bewilligen. Das ist ein bisschen komisch, wie mit der Kunst hier umgegangen wird« (ebd.).

Das Problem, Clubs nicht als Kulturinstitutionen wie die sogenannte Hochkultur zu behandeln und allenfalls unterschiedliche Typen zu unterscheiden, sondern ihnen nachgerade den Status als Kultureinrichtung abzusprechen, sie zu einem kulturlosen Ort, zur Quasi-Barbarei zu erklären, ist nahezu allgegenwärtig: »die ganze Stadt, die schiebt diesen Club immer so in diese Club-Schublade« (ebd.). Für die Antragssteller*innen ist der Kontakt zu den großen Theaterhäusern oder den richtigen Leuten in den Gremien insoweit unabdingbar, inklusive der Aneignung jener Gewohnheiten und Gepflogenheiten des betretenen Feldes. »Von daher suche ich schon mehr den Kontakt zu Theaterhäuser. […] Das ist ganz wichtig für mich, dass ich einfach Verbündete hab, die in diesen Vorständen sitzen« (ebd.). Die Mechanismen, die dabei über Teilhabe oder Ausschluss entscheiden, verweisen demokratietheoretisch auf das Erfordernis, die Institutionen neu zu gestalten. Für die betroffenen Akteur*innen stellt sich dies in der kurzen Frist als Frage nach der formalen Mitspielfähigkeit.

»Ob ich nochmal was studiere, dass ich dann auch berechtigt bin, an einem Theater zu arbeiten, um einfach eine sichere Einkunft zu haben? […] Und ich denke mir irgendwie, wer sich heut noch selbstständig macht, so wie ich das probiere, eigentlich müsste der einen Vollknall haben. Weil grade in der Kultur, du bist einfach dauerhaft abhängig von diesen Förderungen und fühlst dich wie der letzte arme Künstler. Und das sehe ich einfach gar nicht ein, mich so zu fühlen. Ja, und diese ständige Abhängigkeit, das ist unglaublich ermüdend und nervend.«

(ebd.)

Neben den Fragen finanzieller Sicherheit treten in diesem Kontext auch die Probleme ökonomisierter Kunst zutage, die Kultur- Unternehmungen eine doppelt dynamische dynamic capability abverlangt, nämlich als Befähigung, die eigenen Grenzen in der Sache erkennen zu können. Die lenkende Wirkung, die kompetitive Fördermittel auf die Kulturschaffenden mitunter entfaltet, erfordert Resistenz als dynamische Selbststabilisierung, die mitgeht und doch gegenhält, um die Freiheit von Kunst wahren zu können:

»Weil man sich eben immer durch die ganzen Förderausschreibungen wie ein Blatt wendet. […] Es ist mir ja auch wichtig, dass man ein Thema hat, das auch andere Menschen um mich herum interessiert, damit man nicht Kunst blind produziert. […] Doch diese Ausschreibungen haben dazu geführt, dass ich total sprunghaft geworden bin. Da ist es wichtig bei sich zu bleiben und zu überlegen – was ist relevant für einen selbst?«

(ebd.)

Wenn Kunst als Ware einen Zweck bekommt, über den Dritte qua Finanzmittel verfügen, stellt sich nicht erst seit dem Erstarken rechtextremer und autokratischer Stimmen die Frage: »Wie politisch darf Theater sein?« (ebd.). Und: »Sollte ich diesen Förderantrag wirklich einreichen mit so viel Arbeit im Hintergrund und dem Gedanken, dass es dadurch wahrscheinlich dann eher in den Ausschluss fällt?« (ebd.). Diese Probleme betreffen nicht nur freiberufliche Kulturschaffende. Sie betreffen auch bereits große, etablierte Häuser wie Hellerau, »die aufpassen müssen, dass die irgendwie Geld bekommen, weil im Stadtrat Leute sitzen, die nicht so wohlgesonnen sind« (ebd.). 

Solche Ängste – ob sie begründet sind, spielt keine Rolle, denn sie sind real – fördern nicht die Kreativität und Inspiration. Und sie fördern auch nicht das gesellschaftliche Potenzial zur Selbstthematisierung und Selbstkritik, das in der Kunst liegt. Transformatives Potenzial bleibt so ungehoben auf der Strecke – nicht, weil es schlecht ist, sondern einzig aus Mangel an politischem Willen.

»Und wir hatten uns mit dem Konzept beworben, dass wir das OKA zum Tanztheater umstrukturieren. […] Und dieser Förderantrag wurde nicht stattgegeben. Und das finde ich total schade, weil dieser Ort dort oben, der kann viel mehr als nur ein Party Ort zu sein. Es ist ein Freiraum für die Szene – ein Ort für Fehlerkulturen, welche unserer Gesellschaft fehlen.«

(ebd.)

In meinen Augen ist durch diese Entwicklung zunehmend die Freiheit der Kunst eingeschränkt oder sogar in Gefahr. Wenn Förderanträge nicht bewilligt werden, weil die Inhalte einigen Politiker*innen nicht gefallen, ist es bis zur Zensur bloß noch ein Katzensprung. Diese politische Dimension der Kunstförderung schlägt sich auch geografisch nieder:

»Also vor allem NRW wird ganz stark gefördert. Man sieht halt immer, wo die Förderungen hingehen und man sieht auch, wie die im Fortschritt sind bei der Digitalisierung. Was die an Online- Angeboten anbieten, die können alle weitermachen und hier in Sachsen passiert alles so auf ›Low‹. […] Ich verstehe auch gar nicht, warum wir nach Sachsen so wenig Kulturförderungen bekommen. Wobei Sachsen das braunste Land Deutschlands ist. Und gerade hier muss man doch mal gucken, dass die irgendwie davon wegkommen. Und in NRW ist es so: Ganz viele Produktionen werden gefördert, aber die Produktionen, die haben dann meistens nur zwei oder drei Termine, an denen die auftreten, weil es in dem Land gar nicht so viele freie Termine gibt für diese ganzen Produktionen, die da stattfinden. […] Bei uns ist das anders,denn wir haben künstlerische Qualität und Zeit. Es fehlt die Finanzierung.«

(ebd.)

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Kultur aus der Tiefe: Tanztheater und Clubkultur zwischen Möglichkeiten und Prekaritäten. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sieben Artikel unterteilt. Hier findest du alle Teile im Überblick:

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