Wie wollen wir wirtschaften?

Wie wollen wir wirtschaften?
Wie wollen wir wirtschaften? | Bildquelle: Unsplash

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Mit Verantwortung durch die Krise: Was Purpose-Unternehmen resilienter macht. Mit Ausbruch der Covid-19 Pandemie geriet die Wirtschaft ins stocken und schnell war klar: Es bahnt sich eine Wirtschaftskrise an. Auf den Abschwung reagierten konventionelle Unternehmen mit »alt bewährten« Mitteln. Es folgten Zeitarbeit, Entlassungen und Kostenreduktion. Welche Handlungsspielräume eingeräumt werden, wenn das oberste Credo nicht mehr »generiere Rendite« lautet, zeigt Gesa Marken in ihrer Studie zu Purpose-Unternehmen auf. Ursprünglich ist diese Studie gemeinsam mit fünf weiteren »Geschichten des Gelingens« in einem Sammelband bei Metropolis erschienen. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sechs Artikel unterteilt. Bei diesem Artikel handelt es sich um den sechsten von sechs Teilen. Unterhalb des Artikels wird auf die weiteren Teile verwiesen. 


Wie wollen wir wirtschaften? 

Unternehmen in Verantwortungseigentum konnten Lösungen in der Krise finden, um keine partnerschaftlichen Beziehungen aufzugeben oder Mitarbeitende entlassen zu müssen. Sie konnten und durften diese Entscheidungen treffen, weil es ihnen einerseits rechtlich möglich war, unabhängige und nachhaltige Entscheidungen für das Unternehmen zu treffen. Anderseits ermöglichten vertrauensvolle Beziehungen sowie explizite und implizite Zielsetzungen im Unternehmen, Lösungen zu imaginieren und umzusetzen, die nicht auf die Sicherung oder Steigerung von Gewinnen abzielten. Doch birgt diese Geschichte des Gelingens das Potenzial, die heutige Wirtschaft zu transformieren? 

Der gesellschaftlich zunehmend artikulierte Wunsch nach einer sozialökologischen Transformation zielt auf einen »Übergang zu einem […] neuen Typ ressourceneffizienter, umweltkompatibler, nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung, sozialer Teilhabe, demokratischer Bürgerbeteiligung und sozialer und humaner Lebensqualität« (Reißig 2015, S. 6) ab. Dieser mehrdimensionale und komplexe Wandel bedarf der Veränderung heutiger »Strukturen, Institutionen, kulturelle[r] Deutungsmuster und Lebensweise[n]« (ebd., S. 3). Damit ist »Transformationen immer und zuerst mit dem Handeln von Menschen verbunden« (ebd., S. 14). Dieses Handeln – und nicht lediglich die Kritik an bestehenden Verhältnissen – treibt gesellschaftliche Veränderung voran (Hochmann 2018). Veränderung, oder Transformation, ist also an das Handeln der Akteur*innen gebunden, die im Performativen die Fähigkeit des Veränderns, die Transform-Abilität – »the capacity to create untried beginnings« (Westley et al. 2011, S. 763) – entwickeln. Es geht um »sinnsuchende, puzzle-lösende, gestaltende und erzählende Akteure« (Göpel 2018, S. 3), die als Beteiligte die Fähigkeit besitzen, »to imagine futures that are not based on hidden, unexamined and sometimes flawed assumptions about present and past systems […] allowing us to experiment with novel frames for imagining the unknowable future« (Hackmann und Moser 2013, S. 69). Diese experimentelle Praxis hat keinen determinierten Ausgang, sondern stellt einen Suchprozess nach alternativen, ökologisch und sozial nachhaltigeren Wegen dar (Reißig 2015). 

Die »revolutionäre« (Interview Purpose-Stiftung) Form des Verantwortungseigentums ist ein solcher experimentierender Suchprozess: kontingent und fragend. Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie belegen, dass Purpose-Unternehmen nicht nur Eigentum neu denken, sondern auch Wirtschaft umdenken. Wenn die Vorstellung des Opportunismus dem Prinzip der Solidarität weicht, kann Kooperation nach innen und außen entstehen, die für eine – gewöhnlich von Wettbewerb, Opportunismus und Konkurrenz bestimmte – Wirtschaft neu ist. Die beteiligten Akteur*innen fühlen sich gemeinsam verantwortlich. 

Dieses neue Selbstverständnis, sich untereinander beiseitezustehen, leben Purpose-Unternehmen nicht nur in Krisenzeiten. Sie konnten die Erfahrung der Kooperation bereits vor der Corona-Pandemie machen. Die Purpose-Stiftung legt großen Wert darauf, die Unternehmen untereinander zu vernetzen und eine »community« (Interview Purpose-Stiftung) aufzubauen: »Da sind auch schon total tolle Beispiele entstanden, […] wo der eine dem anderen helfen konnte« (Interview Purpose-Stiftung). So entstand etwa durch eine Veranstaltung der Stiftung der Kontakt und anschließend die Kooperation zweier Unternehmen, bei der das eine dem anderen »im sehr großen Stil Verpackungsmaterial zuliefern« (Interview Purpose-Stiftung) konnte. In einem anderen Fall ging es um die Finanzierung eines unternehmensübergreifenden Erklärvideos zu Verantwortungseigentum. Die Purpose-Stiftung übernahm die Umsetzung des Films, die Finanzierung kam solidarisch aus dem Netzwerk: »Lasst uns mal schauen, wie wir das zusammen finanzieren können. […] Dann sagen alle: Ok, super, ich würde gerne mitfinanzieren. Oder: Nein, bei uns passt das im Moment finanziell nicht rein. […] Die Gruppe stützt sich da selbst« (Interview Purpose-Stiftung). 

Das neue Selbstverständnis der Wirtschaft von morgen hängt an der Eigentumsfrage. Organisationen, die sich selbst gehören, können sich selbst zu Solidarität und Kooperation befähigen. Diese Aspekte der Selbstermächtigung, Gemeinschaftsbildung und partnerschaftlichen Befähigung machen sie zu Akteur*innen des Wandels, zu »transformativen Unternehmen« (Pfriem et al. 2015, S. 18). 

Diese neuen kooperativen, solidarischen und sinnbezogenen Wirtschaftsformen hat es auch vor der Corona-Krise schon gegeben. Die Pandemie hat jedoch zweierlei vor Augen geführt. Erstens: Unternehmen, die nicht allein Kostenreduzierung und Gewinnmaximierung anvisieren, haben Kapazitäten, um Fähigkeiten dynamisch zu entwickeln, die sie auch in Situationen des Nichtwissens gestaltungsfähig halten. Zweitens: Die Corona- Krise wirft mehr als zuvor sowohl gesamtgesellschaftlich als auch unternehmensspezifisch die Frage auf, welche Wirtschaft zukunftsfähig ist. 

»Was man vielleicht auf Corona zurücklegen kann […], ist, die Leute denken plötzlich darüber nach: In was für einer Welt leben wir eigentlich? Wie wollen wir die Welt danach haben? Und Klimawandel ist viel, viel zentraler in der ganzen Debatte geworden. […] Corona hat schon die Leute dazu ermuntert, mal was zu lesen, sich mal umzuhören und zu überlegen, wie es eigentlich anders gehen könnte. Und das merken wir jetzt am Ende total.« 

(Interview Purpose-Stiftung)

Auch bei den Unternehmen wurde ein Hinterfragen und Umdenken angeregt. Wer erkennt, einen Unterschied machen zu können, indem neue Wege gegangen werden, motiviert sich selbst, weiterzumachen und dynamisch auf veränderte Bedingungen zu reagieren: 

»Also mich macht das stolz für so ein Unternehmen zu arbeiten, was eigentlich da schon unheimlich viel geleistet hat, was sich aber jetzt auch aufgrund der Situation einfach neue Ziele setzen muss und auch wird und einfach da nochmal einen Riesen-Ansporn bekommen hat. […] Wie können wir eine neues, großes Wir kreieren? […] Das ist uns nochmal klar geworden, dieses Thema der Unternehmenskultur: Wer wollen wir als Unternehmen sein? […] Auch: Wie wollen wir in Zukunft zusammenarbeiten? Ja, und auch mit wem will man in Zukunft, oder mit wem geht man im Großen, also in dieser Gesellschaft auch zueinander, um das Thema wirklich nach vorne zu bringen?«

(Interview Purpose- Unternehmen)

Die Corona-Krise hat zweifellos viel Leid verursachte und bestehende Missstände verschärft. Doch hat sie auch den Willen für eine Veränderung dessen gestärkt, wie sich die Gesellschaft mit dem Erforderlichen versorgen will: 

»Es gab ja ganz andere Gespräche auch letztes Jahr nochmal mit Partnern, die man kannte oder auch mit Firmen, die ähnlich ticken. Und auch zu spüren, dass diese Gesellschaft, ja, den Anspruch hat, wirklich auch in etwas Neues zu gehen.« 

(Interview Purpose-Unternehmen

Eine Vielzahl von Unternehmen war während der Pandemie gezwungen, Kosten zu reduzieren und Partnerschaften aufzugeben. Purpose-Unternehmen unterstützten ihre Partner*innen und Mitarbeitenden und übernahmen gemeinsam Verantwortung für finanzielle, soziale und ökologische Herausforderungen. Sie befähigten sich durch ihre Eigentumsform zu neuen Wegen der Solidarität und Kooperation. Dabei kam es darauf an, »dann auch mutig zu sein für die Veränderung. Und da wirklich darüber nachzudenken und viel zu reden und da auch viel auszuprobieren. Und nicht auf dem bestehen bleiben, wo man ist« (Interview Purpose-Unternehmen). In dieser engagierten Fähigkeit, den sozialökologischen Wandel inmitten der Corona-Krise dynamisch zu gestalten, liegt das transformative Gelingen der Purpose- Unternehmen. Das Einzige, was fehlt, sind mehr von ihnen.


Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Mit Verantwortung durch die Krise: Was Purpose-Unternehmen resilienter macht. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sechs Artikel unterteilt. Hier findest du alle Teile im Überblick:

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