Verantwortung leben

Verantwortung leben
Verantwortung leben | Bildquelle: Unsplash

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie _Mit Verantwortung durch die Krise: Was Purpose-Unternehmen resilienter macht_ . Mit Ausbruch der Covid-19 Pandemie geriet die Wirtschaft ins stocken und schnell war klar: Es bahnt sich eine Wirtschaftskrise an. Auf den Abschwung reagierten konventionelle Unternehmen mit »alt bewährten« Mitteln. Es folgten Zeitarbeit, Entlassungen und Kostenreduktion. Welche Handlungsspielräume eingeräumt werden, wenn das oberste Credo nicht mehr »generiere Rendite« lautet, zeigt Gesa Marken in ihrer Studie zu _Purpose-Unternehmen_ auf. Ursprünglich ist diese Studie gemeinsam mit fünf weiteren »Geschichten des Gelingens« in einem Sammelband bei Metropolis erschienen. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sechs Artikel unterteilt. Bei diesem Artikel handelt es sich um den ersten von sechs Teilen. Unterhalb des Artikels wird auf die weiteren Teile verwiesen.


Verantwortung wird in der Corona-Krise großgeschrieben. Nahezu allgegenwärtig sind die Aufrufe, Verantwortung zu übernehmen: für sich selbst, die Gesundheit der Mitmenschen, die Bekämpfung der Pandemie. Doch das Virus führt uns vor Augen: Es ist unmöglich, »sich alleine zu retten« (Di Cesare 2020, S. 12). Die Eindämmung der Pandemie erfordert die Zusammenarbeit aller. Und so wird das »unsinnige Unternehmen« (ebd.) dieser Tage offensichtlich, welches uns als Konkurrenz und Wettbewerb in den wirtschaftlichen Sphären unserer Gesellschaft selbstverständlich geworden ist. Nicht gegeneinander, sondern miteinander bekommen wir das Corona-Virus in den Griff, welches die auf Effizienz und Beschleunigung gepolte Weltwirtschaft nicht nur in eine Krise der Gesundheit, sondern auch in eine Krise der etablierten Versorgungs- und Produktionsstrukturen gestürzt hat. Es zeigt, wie fragil und krisenanfällig die heutige Wettbewerbsorientierung ist (Göpel 2018). Das Erfordernis, Verantwortung für eine sozialökologische Wende in der Wirtschaft zu übernehmen, tritt immer deutlicher hervor, nicht zuletzt, da ökonomische Organisationen mit »schwindenden Ressourcen und abnehmender Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme« (ebd., S. 2) konfrontiert sind.

Während die meisten Unternehmen im Alten verharren und auf das Zurückkehren zum Zustand vor der Pandemie warten, machen sich andere auf die Suche nach neuen Wegen der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Akteur*innen dieser Suchprozesse gestalten resiliente, dezentrale und heterogene Strukturen der Versorgung und richten sich damit gegen eine von Fragilität, Zentralisierung und Homogenisierung geprägte Globalwirtschaft.

Die Corona-Krise hat insbesondere die Prekarität gesellschaftlich abgewerteter Versorgungsleistungen in den öffentlichen Diskurs gebracht, wie Gesundheit und Pflege, Kunst und Kultur sowie Gastronomie. Doch wir erinnern uns auch an den Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020, als die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Kleidung sowie Hygieneartikeln und anderen Alltagsgegenständen ins Stocken geriet. Um jene Produktions- und Handelsunternehmungen, denen auch während der Pandemie die Versorgung gelang, geht es in diesem Beitrag. Um zu verstehen, was sie resilienter machte und befähigte, auch in der Krise gestaltungsfähig zu bleiben, wurden Expert*inneninterviews mit Unternehmungen in Verantwortungseigentum geführt. Diesen sogenannten Purpose-Unternehmen gelang und gelingt es auch während der Pandemie, Verantwortung zu übernehmen. Der Beitrag verfährt als Dreischritt: Zunächst wird analysiert, wie das Feld der Produktions- und Handelsunternehmen allgemein und die Purpose-Unternehmen spezifisch von der Corona-Krise betroffen waren. Anschließend werden die Lösungswege der Unternehmen und ihre Umgangsweisen mit der Krise betrachtet. Abschließend wird zu ergründen versucht, warum die Purpose-Unternehmen so handeln konnten, wie sie gehandelt haben, und inwiefern in ihrer Geschichte des Gelingens ein transformatives Potenzial liegt.

Schon wieder eine Wirtschaftskrise

Keine 15 Jahre sind vergangen, seitdem die sogenannte Weltfinanzkrise Deutschland und andere Nationen in Atem hielt. Nun trifft das Corona-Virus die Wirtschaft härter als zuvor und Unternehmen weltweit kämpfen erneut. Eine Krise bedeutet in diesem Fall, dass eine Organisation mit Ereignissen konfrontiert ist, die sich stark negativ auf sie auswirken, falls sie nicht angemessen auf die Veränderungen reagiert (Ritter und Pedersen 2020). Seit Beginn der Verbreitung des Corona- Virus im Dezember 2019 wurden die Produktionsprozesse und Handelsbeziehungen weltweit mal mehr, mal weniger stark ins Chaos gestürzt. Die Infektionsgefahr, und die einhergehenden Maßnahmen gegen sie, unterbrachen routinierte Arbeits- und Geschäftsprozesse, Produktionen wurden eingeschränkt und Lieferketten gerieten ins Stocken. Besonders die Lieferbeziehungen nach China gestalteten sich zunehmend schwieriger, wie eine Interviewpartnerin berichtete: Dort sei »der komplette nationale Markt zusammengebrochen« (Interview Purpose-Unternehmen) und chinesische Lieferunternehmen waren mit großer Unsicherheit konfrontiert, die sie entlang der Wertschöpfungskette kommunizierten: »Wir haben da was in China und wir müssen gerade schauen, dass wir unser Unternehmen nicht schließen müssen« (Interview Purpose-Unternehmen). Die Schwierigkeiten traten sowohl in der Produktion – die Ware konnte nicht hergestellt und geliefert werden – als auch im Absatz auf, insofern dass der lokale Einzelhandel und andere Vertriebswege bis heute weitgehend geschlossen waren und sind.

In Situationen wie diesen entscheiden die dynamic capabilities der Unternehmungen über ihre Gestaltungskraft. Dynamic capabilities umfassen »the firm’s ability to integrate, build, and reconfigure internal and external competences to address rapidly changing environments« (Teece et al. 1997, S. 516). In hochkompetitiven und schnell-veränderlichen Umgebungen sind sie essenziell, um den Handlungsspielraum eines Unternehmens aufrecht zu erhalten oder ihn sogar zu vergrößern (Barreto 2010). Das Versagen hingegen, mit einer neuen Situation umgehen zu können, stellt Unternehmen vor Probleme: Sie verlieren ihre Souveränität und können nur noch reaktiv handeln. Während der Corona- Pandemie führte dies zu Umsatzeinbußen, welche die Liquidität der Unternehmen einschränkte, mitunter in existenziellem Ausmaß. Es drohte Insolvenz: »Es war relativ schnell klar, dass es den Unternehmen teilweise sehr schlecht geht« (Interview Purpose- Stiftung).

Der schmale Handlungsspielraum der meisten Unternehmen während der Corona-Krise wird auch an ihren Reaktionen deutlich. Um die ausfallenden Umsätze unter dem starken Druck der Renditeerwartungen ausgleichen zu können, wurde als erstes auf die Strategie der Kostenreduzierung gesetzt (Mäki-Fränti und Vanhala 2020): Unternehmen stornierten Lieferungen, verschoben Investitionen und reduzierten in erster Linie ihre Lohnkosten (ebd.; Buchheim et al. 2020). Dies löste eine Welle von Kurzarbeit und temporären sowie permanenten Entlassungen aus. In Deutschland waren über zehn Millionen Arbeitnehmer*innen in Kurzarbeit (tagesschau 2021a) und eine Million Menschen verloren ihren Job (tagesschau 2021b). In den USA wurden über 40 Millionen Menschen im Zuge der Corona-Krise zeitweise oder dauerhaft arbeitslos (tagesschau 2020).

Die Strategie der Kostenreduzierung schafft kurzfristig die Möglichkeit, die Liquidität und damit die Existenz des Unternehmens zu sichern, also langfristig dessen Arbeitsplätze zu erhalten. Dennoch reichen diese Maßnahmen nicht aus, um alle Unternehmen durch eine so lang anhaltende Krise wie die Corona- Pandemie zu bringen (Mäki-Fränti und Vanhala 2020). Nur Unternehmen, die in der Lage sind, in der Krise handlungsfähig zu bleiben und neue Lösungsansätze finden, die über das Reduzieren von Kosten hinausgehen, können langfristig souverän mit Veränderungen umgehen, ohne in existenzielle Schwierigkeiten zu geraten. Diese dynamische Handlungsfähigkeit ist verankert in den Normen, Prozessen und Systemen der Organisation und umfasst teilweise stillschweigende, implizite Elemente ihrer Routinen (Ritter und Pedersen 2020). Um herauszufinden, welcher Fähigkeiten es bedarf, um einen gelungenen Umgang mit der Krise zu finden, lohnt es sich, die Geschichten unternehmerischen Gelingens in der Corona-Pandemie genauer zu betrachten.

Bei diesen Geschichten des Gelingens geht es nicht um den return on investment, um Profite um ihrer selbst willen. Obwohl dynamic capabilities als »the firm’s potential to systematically solve problems, to make timely and market-oriented decisions« (Barreto 2010, S. 271) ursprünglich mit dem Ziel der Stabilisierung der »firm’s performance« (ebd., S. 257) untersucht wurden, wäre eine Fokussierung auf Rentabilität aus sozialökologischer Sicht fatal. Das bedeutet jedoch auch nicht, Wirtschaft kurzerhand abzuschaffen. Denn auch wenn die Corona-Krise gezeigt hat und nach wie vor zeigt, dass sich die Natur erholt, wenn wirtschaftliche Aktivitäten drastisch eingeschränkt werden (Mast 2020), ist dies keine zukunftsfähige Option für eine bedürfnisorientierte Wirtschaft. Worum es mit diesen Geschichten des Gelingens daher stattdessen geht, ist eine Neuerfindung der Wirtschaft, eine neue Vorstellung davon, was es heißt, wirtschaftlich zu handeln. Es geht dabei um solche Unternehmungen, die essenzielle Versorgungsleistungen in Bezug auf Nahrung, Kleidung, Energie, Kultur und Wohnraum übernehmen. Für sie stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten eine sozialökologische Versorgung auch nach der Krise ermöglichen – insbesondere im Hinblick darauf, dass Ressourcenverbräuche und Emissionen nach der Pandemie nicht durch Rebound-Effekte explodieren sollten (Pinzler 2020).

Die Frage nach dynamic capabilities für einen gelingenden Umgang mit der Krise ist somit zweigeteilt:

  • Welche Faktoren und Fähigkeiten ermöglichen es Unternehmen, resilient einer Krise entgegenzutreten und handlungsfähig zu bleiben?
  • Was befähigt Unternehmen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und eine sozialökologisch nachhaltige Wirtschaft auch in Krisenzeiten mitzugestalten?

Unternehmen in Verantwortungseigentum – auch bekannt als Purpose-Unternehmen – bekamen während der Pandemie zunehmend Aufmerksamkeit. Sie fielen nicht nur durch ihre innovative Eigentumsform auf, sondern auch, weil sie sich selbst als besonders krisenresilient behaupteten (Tönnesmann 2020).


Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Mit Verantwortung durch die Krise: Was Purpose-Unternehmen resilienter macht. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in sechs Artikel unterteilt. Hier findest du alle Teile im Überblick:



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