Keine Zeit für Resignation

Keine Zeit für Resignation
Keine Zeit für Resignation | Bildquelle: Unsplash

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Alles ist möglich am Freudenberg: Über die Unternehmung von Erfahrung in Verantwortungsgemeinschaft. Wie für viele kam auch für die neue Geschäftsführerin des Schloss Freudenberg, Katharina Schenk die Covid-19 Pandemie höchst ungelegen. Erst wenige Monate vor Pandemieausbruch übernahm sie die Geschäftsführung des einzigartigen Orts der Begegnung und Entfaltung, und hätte unter diesen erschwerten Bedingungen jeden Grund zur Resignation gehabt. Stattdessen nutzte sie den erzwungen Stillstand um veraltete Strukturen zu überwinden und neue Geschäftsabläufe zu etablieren. Wie gelang ihr das? Davon handelt diese Studie von Florian Wagner. Ursprünglich ist diese Studie gemeinsam mit fünf weiteren »Geschichten des Gelingens« in einem Sammelband bei Metropolis erschienen. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in fünf Artikel unterteilt. Bei diesem Artikel handelt es sich um den ersten von fünf Teilen. Unterhalb es Artikels wird auf die weiteren Teile verwiesen. 


»Ich habe keine fucking Ahnung!«

Die Geschichte über die Ankunft der Pandemie am Freudenberg erzählt Katharina Schenk weder als ordnungspolitische Intervention noch als Schicksalsschlag, sondern als die interne Verständigung über die Deutung der Krise.

»Wir standen nochmal als komplette Arbeitsgemeinschaft auf dem großen Platz vor dem Schloss. Draußen in der Luft haben wir mal miteinander gesprochen und wussten: Ok, hier fällt jetzt erstmal alles in Dornröschenschlaf.«

(Interview Schenk)

Die aus dem Dornröschen-Märchen stammende Metapher könnte einigen Aufschluss über die implizite Erfahrung des kompletten Zusperrens des Schlosses bieten – oder aber auf einen Holzweg führen. Schlussendlich wurde nicht auf den erweckenden Kuss eines Prinzen gewartet, sondern die Gestaltung der Unternehmung selbst in die Hand genommen. Da im Team darüber Einigkeit herrschte, dass der sogenannte Lockdown den Betrieb erst einmal stoppt, war die Frage naheliegend, wie es nun weitergehen kann und soll. Für die Verständigung einer gemeinsamen Perspektive war die Rolle der Geschäftsführerin wichtig, die fähig war, sich verletzlich und fehlbar zu zeigen: »Wir sprechen miteinander, ich bin ganz transparent und nehme euch mit ins Boot und kann auch vor euch stehen, sagen: Ich habe keine fucking Ahnung« (Interview Schenk). Es wurde offen und ehrlich kommuniziert, dass Nichtwissen eine große Bedeutung hat und die Zukunft der Institution ungewiss geworden ist. Die Fähigkeit und Bereitschaft, sich zu öffnen und Unfähigkeiten oder Wunden zu zeigen, konnten Räume öffnen, in denen Solidarität und Empathie entstanden und wirksam wurden. Die Hilfsbereitschaft von vertrauten sowie neuen Akteur*innen, die durch kollektives Nichtwissen vereint wurden, kultivierte einen sowohl toleranten als auch auf gegenseitiger Befähigung beruhenden Umgang mit Fehlern. Die Organisation wurde flexibler.

»Wenn irgendwas schiefgeht: Wir vernetzen uns ganz schnell und du rufst uns an und einer springt ein und so […] super viele Momente, wo das Team aber auch super großartig war, oder wo wir halt auch einfach alle zusammen dann schnell eine Lösung gefunden haben.«

(Interview Schenk)

Zu dem offenen, respektvollen und ehrlichen Umgang mit der Unsicherheit, die Achtsamkeit im Miteinander voraussetzt, kommt eine weitere Besonderheit der internen Kommunikation zur Sprache. Die Verständigung über die Krise war nicht darauf fokussiert, effizient Lösungen für die Institution zu finden. Es waren vielmehr persönliche Gespräche, die auf einer empathischen Ebene einen Raum für den Austausch verschiedener Erfahrungen boten. Die Akteur*innen adressierten sich gegenseitig als Mensch unter Menschen, nicht primär als Kolleg*in und Funktionsträger*in.

»Wir sind alle in Kurzarbeit gegangen und dann haben wir bisschen über Briefe so kommuniziert oder halt eben über Zoom nochmal so einmal die Woche, wo es dann gar nicht nur um Arbeitsthemen ging dann, eigentlich eher so um: Was ist da und wie geht das und was habt ihr da gesehen?«

(Interview Schenk)

Wie das Jetzt gestalten?

In der Art der Krisendeutung klang die Selbstwirksamkeit bereits als Potenzial an. Doch wie wurde sie für Handlungen entscheidend? Wodurch wurden die Handelnden befähigt, gestalterisch mit den neuen Bedingungen umzugehen und neue, gelingende Praktiken zu erproben? Die Antworten von Katharina Schenk auf diese Fragen können begeistern und uns als Gesellschaft inspirieren, denn sie verweisen auf viele weitere Fragen, was es heißt, gemeinsam zu gestalten. Und sie stellen selbst die Abgrenzung von Handeln und Denken in Frage. Es sind Erklärungsversuche, die viel zu tun haben mit Solidarität, Mut und Zuversicht, Vertrauen und Gemeinschaft. Und es wird immer wieder eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Gegenwart angesprochen: Man kann sich ohnehin auf das Leben nicht restlos vorbereiten, nur im Jetzt reagieren und gestalten. Man muss sich auf die Gegenwart einlassen und immer wieder bereit sein, bei null zu beginnen, das heißt »creating something from nothing« (Baker und Nelson 2005) zur Richtschnur der Unternehmung zu erklären. Darin liegt nicht nur aufklärerisches Potenzial, es liegen auch Verwirklichungschancen (weiterführend Nussbaum und Sen 1993) darin: sich von den Stereotypen und Denkstilen befreien, die nicht mehr der veränderten Welt und dem Selbst, das man sein möchte, entsprechen. Was nach motivierenden Kalenderblättern und belächelten Lebensweisheiten klingt, markiert am Schloss Freudenberg eine Befähigung, konstruktiv mit Krisen umzugehen und Ungeahntes zu ermöglichen. 

Als die Unternehmung infolge der staatlichen Pandemiebekämpfung geschlossen wurde, ging der Großteil der 45 Mitarbeiter*innen in Kurzarbeit und arbeitete im Homeoffice. Es blieb ein kleines Team rund um Katharina Schenk, ihren Mann, die Eltern und ihren Bruder. Sie sprachen sich täglich in kleiner Runde, was zu einer Besinnung führte auf den ursprünglichen Gründungsimpuls und auf den Zweck der Institution als Ort für Gegenwarts- und Zukunftsfragen. Durch diese zeitliche Erweiterung der Perspektive, so meine These, wurde es den Akteur*innen möglich, ihre aktuelle Situation als eine kontingente und insoweit gestaltbare Phase zu begreifen, statt sie wie in der unmittelbaren Erfahrung als punktuelles Ereignis und als das Ende von allem zu erleben. Katharina Schenk hat die Krise gemeinsam mit ihrem Ensemble selbst umdeuten können zu einem Möglichkeitsfenster, indem sie die Zukunft prospektiv als gestaltbaren Raum innerhalb der Gegenwart begriffen und das Potenzial dessen, was sein könnte, beharrlich freilegten.

»Also mir persönlich hat total Mut gemacht, dass ich dachte: Katharina, du bist jetzt hier in die Geschäftsleitung gekommen und in diesem Moment passiert was – dass diese Maschine zum Stillstand kommt und dass man in der Stille steht und in einer Achtsamkeit und hinhören kann, was will werden und genau hingucken kann, was gibt Kraft und was strahlt, was nehmen wir die ganze Zeit schon mit. Also, dass ich wie so dieses Bedürfnis hatte, […] zu sagen ›Wow!‹ – wenn du irgendwie was hier veränderst, oder was einbringen kannst, dann macht’s das jetzt möglich.«

(Interview Schenk)

Achtsamkeit in Bezug auf das zu entwickeln, was werden will, bedeutet, die Energien und Dynamiken einer vorgefundenen Situation nicht zum Erliegen zu bringen oder sich ihnen entgegen zu stellen, sondern sie aufzunehmen, sie weiterzutragen, sie zu transformieren in neue Praktiken, Prozesse und Politiken. Die Bedingungen der Befähigung zum gestalterischen Umgang mit dieser unsicheren Situation reflektieren sich als ein Wissen um die eigene Rolle in der Institution, beziehungsweise in der Welt im Allgemeinen. Die Akteurin bezeichnet die korrespondierende Subjektform als »Universalkünstlerin« (Interview Schenk), was auch dem Umstand Rechnung trägt, dass Strukturen und Routinen der Organisation aufgelöst wurden und Mitarbeiter*innen ihren angestammten Arbeitsplatz verließen, um anderen Arbeiten oder gänzlich neuen Tätigkeiten nachzugehen. Dies ermöglichte, dass ungekannte Potenziale identifiziert und auch entfaltet wurden. 

In diese neue, spielerische Praxis sind nicht alle Mitglieder der Organisation übergegangen. Die meisten sind in der Kurzarbeit geblieben und haben das Geschehen von außen verfolgt. Dies stellt eine weitere Bedingung für das Gelungene dar: auch wenn nicht alle den neuen Pfad einschlagen, sich auf das Unbekannte im Wissen um die eigenen Fähigkeiten, Sehnsüchte und Hoffnungen einlassen zu können – aber auch zu wissen, wo die Grenzen liegen und erforderlichenfalls getrennte Wege gehen können. Die Improvisation, um die es dabei geht, bedeutet also keinen Aktivismus oder Chaos, sondern eine kreative Rekontextualisierung von bereits vorliegenden Erfahrungen und Befähigungen. Die strategische Neuausrichtung setzte somit an den individuellen und kollektiven Könner*innenschaften der Unternehmung an:

»Hey, was haben wir, was können wir eigentlich alles? Was können wir jetzt eigentlich machen? Und dann auch Fähigkeiten von den Mitarbeitern ins Bild zu bringen, wie: eine macht mega viel Yoga – und dann haben wir Yogakurse gemacht, und so. Also, so zu gucken: Hey, was haben wir alles an Werkzeug mit uns in der Mannschaft, Frauschaft, so, und die, die – um das mal ganz salopp zu sagen – die damit nicht einverstanden waren, die haben halt überhaupt sich nicht gemeldet.«

(Interview Schenk)

Aus der tentativen Suchbewegung resultierte nicht nur nach innen eine Fehlerkultur, die kreatives Potenzial freisetzte. Auch nach außen in der Beziehung zu Besucher*innen, Kund*innen sowie Partner*innen verschoben sich die Ansprüche an die Qualitäten des Angebots. Dass diese Beziehung gerade nicht in erster Linie auf ein Schema aus Angebot und Nachfrage oder Produktion und Konsum reduziert wurde, sondern in eine partnerschaftliche Kooperation einmündete, eröffnet ein weiteres Kapitel dieser Geschichte des Gelingens am Freudenberg, aber auch ein zentrales Muster für die Ermöglichung einer spielerisch-improvisierenden Organisation.


Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Alles ist möglich am Freudenberg: Über die Unternehmung von Erfahrung in Verantwortungsgemeinschaft. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in fünf Artikel unterteilt. Hier findest du alle Teile im Überblick:

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