Full Stop.

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Full Stop. | Bildquelle: Unsplash

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Alles ist möglich am Freudenberg: Über die Unternehmung von Erfahrung in Verantwortungsgemeinschaft. Wie für viele kam auch für die neue Geschäftsführerin des Schloss Freudenberg, Katharina Schenk die Covid-19 Pandemie höchst ungelegen. Erst wenige Monate vor Pandemieausbruch übernahm sie die Geschäftsführung des einzigartigen Orts der Begegnung und Entfaltung, und hätte unter diesen erschwerten Bedingungen jeden Grund zur Resignation gehabt. Stattdessen nutzte sie den erzwungen Stillstand um veraltete Strukturen zu überwinden und neue Geschäftsabläufe zu etablieren. Wie gelang ihr das? Davon handelt diese Studie von Florian Wagner. Ursprünglich ist diese Studie gemeinsam mit fünf weiteren »Geschichten des Gelingens« in einem Sammelband bei Metropolis erschienen. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in fünf Artikel unterteilt. Bei diesem Artikel handelt es sich um den ersten von fünf Teilen. Unterhalb es Artikels wird auf die weiteren Teile verwiesen. 


Was für eine Krise? 

Die Corona-Pandemie intervenierte abrupt in die Praktiken, Prozesse und etablierten Strukturen, die sich seit der Gründung vor bald drei Jahrzehnten am Schloss Freudenberg eingespielt hatten. Bereits Ende Februar 2020 wurde die Krise am Freudenberg relevant. Die erste Ankündigung einer nahenden Pandemie veränderte die Besucher*innen, die »plötzlich ganz andere Fragen und Hemmungen und Bedenken und Interessen« (Interview Schenk) mitbrachten. Veränderungen im Umfeld einerseits wahrnehmen, andererseits ernstnehmen zu können, sind wichtige Fähigkeiten für das Gelingen gewesen. Die Einführung der empfohlenen Hygienemaßnahmen im Betrieb durch das Team war eine erste Reaktion auf die unsichere Situation. Es tauchten viele Fragen auf, auf die es noch keine Antworten gab: neues Wissen über die gesundheitlichen Risiken und Möglichkeiten von Schutz wurde erforderlich, Vorschriften änderten sich in kurzem Takt, Planung wurde zunehmend unmöglich. Der Beginn des ersten sogenannten Lockdowns bedeutete schließlich eine Zäsur. Die Institution musste komplett geschlossen werden.

»Das war schon eigentlich fast eher eine Überraschung, also, es war echt eher so: Leute, da geht was rum und wascht euch gut die Hände und haltet Abstand und so – aber in dieser Radikalität hat es uns schon ganz schön erwischt eigentlich.«

(Interview Schenk)

Mit Beginn des Nichtwissens entstand eine Phase, in der (noch) nicht aktiv auf die veränderten Bedingungen reagiert werden konnte. Eine allgemeine Orientierungslosigkeit in Bezug auf die gängigen Arbeits- und Geschäftsprozesse, die eingespielten Routinen und Abläufe griff Platz. Die eigene Überforderung anzuerkennen und sich einzugestehen, dass Kräfte am Werke sind, welche die eigenen übersteigen, sind keine selbstverständlichen, aber erforderlichen Fähigkeiten, um die Bedingungen der eigenen Möglichkeiten zur Gestaltung einschätzen zu können. Schließlich wurde durch das Corona-Virus, und die Maßnahmen zur Eindämmungen der Pandemie, am Freudenberg auch das Geschäftsmodell selbst strittig. Die Akteur*innen wurden mit einer Tatsache konfrontiert, die von außen in ihr Feld hereinwirkte und die als nahezu alles verunmöglichend erlebt wurde. Die Corona- Pandemie stürzte die Unternehmung ins Chaos:

»Alles, was wir machen, alles, für das wir stehen, alles, was wir der Welt zurufen: Fass es an! Riech dran! Probiere es aus! Sei nicht davor, sei nicht dahinter, geh rein! – Das ist verboten! Diese Konsequenz, zu sagen: Krass, das ist gefährlich! Es geht nicht mehr, was wir machen!«

(Interview Schenk)

Die Krise kam am Freudenberg als Verbot an, all das weiterhin zu tun, wofür das Schloss bislang dagewesen war: Begegnung, Beisammensein und Erfahrung zu ermöglichen. Es war die strategische Dimension und der Sinn der Unternehmung, welche durch die Pandemie in erster Linie betroffen waren. Erst weit später folgten die organisationalen Konsequenzen. Der betriebliche Zusammenbruch begann als Ausfall von Aufträgen und der dahinterliegenden Unmöglichkeit, die Einrichtungen der Institution weiter anzubieten, beziehungsweise allgemein deren Zweck zu erfüllen. Kontaktbeschränkungen und Hygienemaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie schufen einen Arbeitsplatz, dem die Arbeit ausgegangen war:

»Wir hatten keine Aufträge mehr. Und dadurch war es dann schon auch in so einer Art Radikalität, dass man auch sagt: Hey, es gibt hier grad einfach nichts zu tun!«

(Interview Schenk)

Das Schloss Freudenberg ist in dieser Hinsicht auf die gleiche Weise von der Pandemie betroffen wie andere Kulturstätten und Bildungseinrichtungen auch. Die Situation ist im Vergleich zu anderen Kulturbetrieben im weitesten Sinne sogar noch verschärft, weil das sinnliche Erlebnis im Mittelpunkt des Geschäftsmodells steht. Diese leibliche Dimension des Angebots hat digitale Lösungen, wie sie in anderen Kontexten in Reaktion auf die Pandemie stattgefunden haben und nach wie vor stattfinden, von Beginn an ausgeschlossen, weil das Erfahrungsfeld von Schloss und Park samt Installationen nicht technisch vermittelt in Bild und Ton abstrahierbar ist. Die in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gängige Fluchtbewegung, massiv zu digitalisieren, stellte insofern keine Lösung dar, sodass innerhalb kürzester Zeit das Geschäft selbst zum Erliegen kam.

»Dass wirklich das Papier tatsächlich weiß war, weil alle Seminare, alle Veranstaltung und das Erfahrungsfeld mit allen Schulklassen und Führungen, die gebucht waren, alle, alle, alle storniert!«

(Interview Schenk)

Während die Anfälligkeit für die Krise einerseits rasch zu Bewusstsein kam, ist die besondere Art der Einordnung und Benennung der veränderten Bedingungen ein wichtiger Teil der Geschichte des Gelingens. Katharina Schenk trat der aufkommenden Orientierungslosigkeit reflexiv gegenüber. Statt sich selbst in erster Linie als Spielball fremder Kräfte zu begreifen oder sich gegen sie gar aufzubäumen, reagierte sie mit einer Neugier, die an Faszination für das Chaos grenzt: »Okay, was ist jetzt, was, was will jetzt werden, was passiert jetzt, ist alles, alles komplett auf null gesetzt« (Interview Schenk). Entscheidend war die Fähigkeit zur engagierten Distanznahme, was neben einer differenzierten Wahrnehmung auch Mut und Beharrlichkeit miteinschließt. Früh lenkte sie die Interpretation der wahrnehmbaren Einschränkungen durch die Krise in die Richtung von ermöglichenden Bedeutungen der Krise, was nicht das Problem, wohl aber die Einstellung dazu ändert: »Das war einfach nur reagieren und eben sagen: Hey, jetzt haben wir zwei Möglichkeiten, diese ganze Sache von verschiedenen Perspektiven zu sehen« (Interview Schenk). Weil sie willens und in der Lage war, Perspektiven zu wechseln und unterschiedliche Standpunkte einzunehmen, gelang es ihr, dasjenige Moment der Krise freizulegen, von dem aus sie die Situation als eine Chance deuten konnte, anders zu handeln als zuvor. 

In dieser Art, wie sie die Konsequenzen deutete und Potenzial freilegte, lässt sich »Möglichkeitssinn« (Hochmann et al. 2019) erkennen: Neben der Wirklichkeit der Corona-Krise – »alle, alle storniert!« (Interview Schenk) – steht die Frage »Was will jetzt werden?« (Interview Schenk). Dieser Sinn für Möglichkeiten, das Fragen nach dem, das noch nicht ist, aber sein könnte, bildete als Ausgangsbedingung den Boden für die neuen Praktiken, die im Verlauf des Sommers 2020 entstehen konnten. Die Fähigkeit war entscheidend, aus der für gewöhnlich relativ stabilen Reproduktion sozialer Wirklichkeiten – der ›longue duree‹ bei Anthony Giddens (1997) – auszubrechen und in der Gegenwart mit einem subjektiven Zeitbegriff sich nicht nur als Produkt der Verhältnisse, sondern auch als ihre Produktion, das heißt als gestaltungsfähig gewahr zu werden. Statt die medial zu dieser Zeit massiv verbreiteten Fremddeutungen der Konstellationen zu übernehmen, ist eine grundlegende Bedingung dieser Geschichte des Gelingens die Fähigkeit, Deutungsmacht über die eigene Betroffenheit zu erlangen. Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstbesinnung dokumentieren sich in der Frage danach, welche Perspektive auf die Welt sie einnehmen kann und will. Sie beruht auf der Befähigung, gedanklich aus sich heraus- und sich selbst gegenüber zu treten, sich »exzentrisch zu positionalisieren« (Plessner 1975), was nicht bedeutet, die Augen vor der Krise zu verschließen, sondern Verantwortung zu übernehmen: für die Geschichten, die man anderen und sich selbst erzählt und aus denen heraus man handelt. Diese Geschichten sind gestaltbar, wie auch Maja Göpel (2017, S. 4) hervorstreicht, wenn sie Menschen beschreibt als »geschichtenerzählende Spezies«.


Dieser Artikel ist ein Auszug aus der Studie Alles ist möglich am Freudenberg: Über die Unternehmung von Erfahrung in Verantwortungsgemeinschaft. Der Lesbarkeit halber wurde die Studie für die Veröffentlichung in diesem Online-Magazin in fünf Artikel unterteilt. Hier findest du alle Teile im Überblick:

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