The slow and the furious

The slow and the furious
The slow and the furious | Bildquelle: Oktopulli

Liebe Carla, liebe Nancy, es freut mich, dass ihr heute dabei seid. Ihr habt dieses Jahr das Slow-Fashion-Modelabel Oktopulli gegründet. Wie geht es Euch als frischgebackene Gründerinnen?

CARLA   Es freut mich, heute hier zu sein. Mir geht es sehr gut. Aber es ist bis jetzt schon eine abwechslungsreiche Reise gewesen.

NANCY   Mir geht es auch gut. Es war eine superspannende Reise. Ich habe meine Erfahrungen gemacht. Wenn das Jahr vorbei ist, mache ich drei Kreuze – aber drei schöne! 

Unternehmer:innentum?

Wie ist die Idee für Oktopulli entstanden?

NANCY   Ich habe regelmäßig Kleidung für meinen Neffen genäht, und das hat Spaß gemacht. Aber alle drei bis sechs Monate etwas Neues zu nähen, empfand ich nicht wirklich als sinnvoll. Deswegen habe ich mal einen Pulli genäht, den er länger, also fast zwei Jahre, tragen konnte. Das ist inzwischen sein Lieblingspulli. Zudem waren Carla und ich gerade fertig mit unserem Masterstudium und wir wollten nun aktiv unsere Welt mitgestalten durch unser Verständnis von Unternehmer:innentum.

Was versteht ihr denn unter Unternehmer:innentum?

CARLA   Es wäre eine schöne Geschichte zu sagen, wir hatten da eine geniale Idee und dann haben wir beschlossen zu gründen. Aber ein wirklich großer Motor für uns war es zu überlegen: Wie kann man Unternehmer:innentum ganzheitlich denken? Welche Faktoren, welche Menschen, Ressourcen und Bedürfnisse spielen dort eine Rolle? 

NANCY   Es ist in meinen Augen auch nötig, dass wir Unternehmer:innentum sozialer und auch integrierter denken. Dass es nicht nur um die Produktidee geht und ich nach diesem alles richte, sondern auch überlege, wie kann dieser Ort, an dem gearbeitet wird, auch ein sozialer Ort sein? 

Der völlig absurde Fast- Fashion-Wahnsinn

Was läuft denn in der Welt schief, das Euch motiviert hat, Oktopulli jetzt zu gründen? 

NANCY   Das ist auf jeden Fall dieser völlig absurde Fast-Fashion-Wahnsinn. Diesen müssen wir mal auf den Schirm bekommen und uns überlegen, wie viel Kleidung wir eigentlich für Kinder konsumieren und produzieren. Das ist absurd, mit wie wenig Aufwand man gewährleisten kann, dass ein Kind ein Kleidungsstück auch länger trägt. Wir haben keinen krassen Stoff entwickelt oder irgendwie gezaubert, sondern einfach nur ein Handwerk gut durchdacht ausgeführt. 

CARLA   Die Menschen sowie die Natur werden durch den enormen Ressourcenverbrauch, der nötig ist, um ständig neue Trendmode zu produzieren, massiv ausgebeutet. Bei uns geht es jetzt darum, mit den Dingen, die es schon gibt, etwas zu tun, um so aufzuzeigen, dass es nicht überall etwas Neues braucht.

Woher kommt dann dieser Fast-Fashion-Wahnsinn?

NANCY   Das ist in den 2000ern entstanden, als die großen Modeketten wie Zara und H&M lässige, coole, hippe Modetrends geschaffen haben und in großen Kaufhäusern zu einem bezahlbaren Preis anboten. Und ich weiß noch, damals konnte man sogar schon teilweise online shoppen und in Raten bezahlen. Ich selbst bin da als Teenagerin drauf reingefallen. Ich denke, das war ein sehr einschneidender Punkt in unserer Gesellschaft, wo niemand so richtig hingeschaut hat und sich gefragt hat: Was bedeutet das eigentlich? Dort ging dann der Bezug verloren, wo die Kleidungsstücke herkommen, wie viel Aufwand es ist, sie herzustellen und welcher Wert eigentlich dahintersteckt. Das waren auf jeden Fall zehn absolut abgefahrene Jahre für unsere Gesellschaft, in denen alle einfach mal gemacht haben, was sie wollten. Und jetzt? – Muss man halt die Party wieder aufräumen.

CARLA   Ergänzend glaube ich, dass die Globalisierung mit dem Outsourcen der Produktion in günstige Produktionsländer sowie das Aufkommen der sozialen Medien auch zur massiven Beschleunigung von Trendentwicklungen geführt hat.

Macht ihr Euch auch Gedanken zu den aktuellen Trends?

NANCY   Wir machen uns gar keine Gedanken um Trends. Wirklich! Ich habe noch nie zu Carla gesagt: »Was gibt es denn eigentlich grade für einen Farbtrend?« Sondern wir nehmen halt das, was da ist, und es funktioniert. Diese Erzählung von »dem Trend folgen« ist total absurd.

Wächst das Kind, wächst der Oktopulli

Und wenn wir uns jetzt den Pulli einmal anschauen: Was bedeutet daran Slow Fashion?

CARLA   Es ist das Mitwachsen des Pullis, was es ermöglicht, den Pulli zwei Jahre zu tragen, anstatt nur vier bis sechs Monate. Das erspart schon mal ein paar Neukäufe. Man gibt nicht nur weniger Geld aus, sondern spart in erster Linie auch jede Mengen Ressourcen. Das Mitwachsen wird ermöglicht durch einen entsprechenden Schnitt im Schulterbereich, den sogenannten Raglanärmel, wie man ihn oft von Sport-Shirts kennt. Außerdem können die Ärmel des Pullovers so umgeschlagen werden, dass dabei ein schönes Innenfutter sichtbar wird. In der Länge ist er für die Kleinsten ein bisschen oversized und liegt dann nach zwei Jahren perfekt auf der Hüfte auf. Und was zu Slow-Fashion auch noch dazugehört, ist natürlich der Materialeinsatz. Wir beziehen nur Stoffe vom Secondhand-Markt und von Stoffhersteller:innen, die ihre B-Ware oder Überschussware loswerden wollen, die eigentlich neuwertig ist, aber nicht verwendet werden kann, zum Beispiel wegen eines unerwünschten Farbtons oder einer Testproduktion oder weil kleine Webfehler aufgetaucht sind.

NANCY   Und Slow ist es natürlich in dem Sinne auch, dass wir das Produkt morgen nicht bereitstellen, wenn Du es heute kaufst, sondern wir wollen eine Produktion »On Demand« etablieren, das heißt, der Pulli wird erst bei Bestellung produziert. Somit muss man auch mal zwei bis drei Wochen warten, bis man den Pulli erhält. Und das ist für mich auch Slow-Fashion, dass das Produkt wieder mehr wertgeschätzt wird durch längere Wartezeiten und eine längere Nutzungsdauer.

Wer wartet nicht gerne auf sein Paket?

Wie haben die Kund:innen auf den Slow-Versand reagiert?

NANCY   Die Reaktionen sind sehr entspannt. Nach dem Motto »Haaa, gar kein Problem. Nee, das passt voll!« Wir haben auch im Etsy-Shop ein bis zwei Wochen Wartezeiten, und wenn jemand es dringend für einen Geburtstag oder so braucht, dann soll die Person eben Bescheid sagen.

CARLA   Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass sich etwas grundlegend ändern muss in dieser Dienstleistungshaltung. Es braucht mehr Mut und Transparenz. Dass man mehr darüber redet: Was steht hinter einer Produktion, was steht hinter einem Versand? Was ist mit den Menschen, die dort arbeiten? Und welche Ressourcen werden gebraucht? Es ist ein komisches Menschenbild, zu denken, der Mensch will alles sofort und perfekt. Aber eigentlich geht es um eine neue Form der Wertschätzung – und ich denke, die erreichen wir über Aufklärung.

Wie geht ihr in diesem Zusammenhang mit Konkurrenz um, die vielleicht schneller produziert?

NANCY   Wenn unser Ziel Slow-Fashion ist, dann kann ich keine Konkurrenz haben. Das ist meine tiefste Überzeugung. Wenn wir das machen, um nachhaltiger zu wirtschaften, dann kann ich nicht in Konkurrenz denken. So erlebe ich das auch hier unter den Gründer:innen in Berlin. Wir haben einen kleinen Stammtisch etabliert mit verschiedenen Gründer:innen aus der Slow-Fashion-Branche. Und das ist so ein Support und Austausch. Es ist ein gegenseitiges die-Hand-Reichen, anstatt in Konkurrenz zu verharren. Wir wurden auch letztens von einer Gründerin angesprochen, wie sinnvoll und nachahmenswert sie unser Preismodell findet. Und ich meinte nur: »Ja, klar, mach auf jeden Fall!« Ich könnte mir da nicht vorstellen zu denken: »Ne, nur ich darf das.« Weil mein Interesse ist auch Aufklärung.

Solidarische Preise, sowas gibt es?

Könnt ihr Euer Preismodell einmal beschreiben?

CARLA   Als allererstes: Wir wollen die Menschen, mit denen wir arbeiten, wirklich gut bezahlen. Das war und ist in der ganzen Finanzplanung für uns immer wieder eine Herausforderung: Was ist Arbeit wert? Und welche Arbeit ist wie viel Wert? Und wie schaffen wir das, wenn wir uns zum Ziel gesetzt haben, weiterhin in Deutschland herzustellen? Wir wollen keinen Unterschied machen, ob jemand im organisatorischen Bereich oder in der Produktion arbeitet. Der nächste Punkt: Was können Menschen sich leisten? Wir wollen kein Luxusgut herstellen. Und gleichzeitig müssen wir aber berücksichtigen, dass wir den Oktopulli nicht anbieten können wie einen Pulli von H&M. Der Oktopulli ersetzt zwar einige Neukäufe, gleichzeitig darf der Preis nicht zu hoch sein und damit Menschen ausschließen.

NANCY   Meine Mutter hätte sich niemals so einen Pulli leisten können. Deswegen war das für mich auch eine Riesenfrage, wie man diesen Zwiespalt zwischen fairen Löhnen und fairen Preisen löst. Es bekämpft sich ein bisschen gegenseitig. Es ist ein langer Prozess für uns gewesen und unser solidarisches Preismodell versöhnt vielleicht ein wenig diesen Konflikt. Bei diesem kann man zwischen drei Preisen auswählen: Dem solidarischen Mindestpreis, der wesentlich günstiger ist als der Basispreis. Dann dem Basispreis, der quasi den Preis widerspiegelt, den wir brauchen, damit das ganze Geschäft am Laufen bleibt. Und dann gibt es noch einen Supporter:innen-Preis. Das sind die Menschen, die ein bisschen mehr zahlen und damit Slow Fashion für andere Leute möglich machen. Wir würden diesen Pulli gerne für unter 40 Euro anbieten, weil wir wissen, dann können sich viele Leute das leisten. Aber das spiegelt im monetären Sinne nicht wider, was da für eine Arbeit dahintersteckt. Und auf der anderen Seite würden wir total den Slow-Fashion-Markt unterwandern, weil es ungerechtfertigt ist, so ein Slow-Fashion-Produkt für einen solchen Preis anzubieten. Und wir würden damit den Menschen, mit denen wir zusammen Slow-Fashion machen, in den Rücken fallen.

CARLA   Wir könnten den Oktopulli aber zum jetzigen Zeitpunkt auch gar nicht günstiger anbieten. Auch wir stehen in den Zwängen des kapitalistischen Systems, obgleich Nancy manchmal so Gedankenspiele hat wie: »Ja, aber vielleicht finden wir ja Menschen, die Lohnpatenschaften übernehmen.«

NANCY   Man muss kreativ bleiben!

CARLA   … allerdings müssten wir dann auch aufpassen, dass wir mit solchen Lohnpatenschaften nicht falsche Signale senden. Wenn wir durch die Inanspruchnahme externer Unterstützung niedrigere Preise anbieten könnten, würde das die tatsächlich anfallenden Kosten unsichtbar machen. Ziel ist es eigentlich, unsere Kund:innenschaft wieder dafür zu sensibilisieren, wie teuer die Produktion von Kleidung eigentlich ist, wenn man Menschen fair bezahlen will und die Natur nicht ausbeutet. Das schafft dann – hoffentlich – auch einen bewussteren Umgang mit dem Kleidungsstück. Der Preis ist dann zwar höher, aber wir haben unser solidarisches Preismodell. So können wir ein Verständnis für den tatsächlichen Wert schaffen und gleichzeitig werden Menschen, die sich den kostendeckenden Preis nicht leisten können, nicht ausgeschlossen.

Über Geld reden

Funktioniert das solidarische Preismodell?

CARLA   Ich habe in meinem Studierendenverein sowie im Sportverein, in dem ich gearbeitet habe, solidarische Preismodelle kennengelernt und merkte, dass es tatsächlich funktionieren kann, wenn die Idee dahinter gut erklärt wird. Die Leute sind bereit dazu. Aber leider gibt es wenig fundierte Erfahrungsberichte und Forschungen dazu. Das vielleicht auch als Appell an alle Studierenden: Denn es ist wichtig, dass es da fundierte Grundlagen für den Konsumgüterhandel gibt, um die Idee immer weiter zu verbreiten und aufzuzeigen, dass es möglich ist. Da sehen wir uns auch als Leuchtturmprojekt, das die Erfahrungen sammelt und ausprobiert, damit das ein übertragbares Modell wird, damit man einfach sagen kann: »So, Leute, das geht. Das wird von der Kundschaft angenommen und das lässt sich technisch und finanziell alles umsetzen.« Diese Idee muss dafür aber einmal wirklich gelebt werden.

NANCY   Aber wir denken auch wirtschaftlich oder müssen es, weil wir Verantwortung für Menschen haben, die mit uns arbeiten. Was ist, wenn es dann mal nicht funktioniert? Wie fangen wir das finanziell auf, wenn mehr Menschen Bedarf an dem solidarischen Mindestpreis haben? Das sind auch Gedanken, die wir uns machen müssen. Und es kann auch sein, dass wir sagen, wir können grade nichts rausgeben, weil wir es uns nicht leisten können. Das ist keine rosarote Welt, sondern man geht mit einem riesigen Paket an ethischen und moralischen Vorstellungen an so eine Sache ran und schrumpft sie in der Umsetzung immer ein bisschen ein. Aber es ist uns das Wichtigste, dass man sich selbst dabei treu bleibt und auf die äußeren Zwänge trotzdem flexibel reagieren kann. Das kann man nicht anders sagen.

Und wie geht ihr mit äußeren Sachzwängen um, auf die ihr reagieren müsst?

CARLA   Am Anfang ist da erstmal Widerstand, aber den wandeln wir dann in etwas recht Konstruktives um. Gerade Nancy ist da wirklich kreativ, Dinge neu zu denken und sie anders zu gestalten. Da bin ich immer erst kurz so: »Was? Okay. Wir hatten das doch anders geplant.« Und dann versuche ich, mich darauf einzulassen und dann geht es weiter. An manchen Stellen bringe ich in diese kreativen Prozesse Struktur rein. Da ergänzen wir uns ziemlich gut.

Welche Rolle spielt Geld bei Euch noch, zum Beispiel in Bezug auf die Finanzierung?

NANCY   Bevor wir starteten – bisschen romantisch, aber es war wirklich so – sind wir ein paar Tage an die Ostsee gefahren und haben da an dieser Idee gearbeitet. Und diese Finanzfrage war superschnell im Raum. Wir haben sehr, sehr früh schon über das Problem geredet, dass Ressourcen im Gründungs-Prozess immer an Geld gekoppelt werden. Es ist total absurd, dass eine Person mehr Geld reingeben kann und deshalb mehr an diesem Unternehmen beteiligt ist und daher mehr Ressourcen stellt, wenn die andere Person mehr Ideen und Zeit und Energie rein gibt, nur dass dies am Ende keine Zahl ist, die in den Büchern steht. Wir sind dann so vorgegangen, dass sich jede gefragt hat: »Was sind meine Ressourcen, die ich gerade reingeben kann?« Man muss darüber sprechen, denn man hat diesen finanziellen Druck. Man braucht das Geld. Man kann nicht Stoff einkaufen, wenn man kein Geld hat, und da kannst du noch so kreativ sein und noch so viel Zeit und auch Bock haben, Pullis zu nähen. Wichtig war, immer wieder zurückzugehen und zu sagen: »Aber es braucht auch die Kreativität und die Einsatzbereitschaft, um diesen Pulli fertigzustellen.« Das war schon immer auch ein reflexiver Prozess.

CARLA   Ich glaube, dass wir sehr sensibel miteinander sein mussten, weil wir komplett unterschiedliche Erfahrungshorizonte in Bezug auf Geld haben. Das überhaupt erst einmal zu verstehen und dann zu versuchen, sich in die andere hineinzuversetzen, war unbedingt notwendig. Mein Verhältnis zu Geld verändert sich gerade durch diesen Prozess. Aber auch nur dadurch, dass wir viel, wirklich viel darüber sprechen, und auch unsere Ängste darin teilen, wie die Angst vor Geld- oder Machtverlust.

Eigentum mit Verantwortung

Wie läuft die Finanzierung konkret ab?

CARLA   Wir haben drei Säulen. Die erste: Wir brauchen 25.000 Euro Eigenkapital für die Gründung einer GmbH, die wir in Verantwortungseigentum gründen werden. Als zweites haben wir einen Kredit beantragt, der uns für den Start die notwendige Liquidität verschaffen soll und größere Investitionen ermöglicht. Damit dieses Fremdkapital abgesichert ist, brauchten wir noch mehr Eigenkapital, wodurch wir zur letzten Säule kommen: unserem Crowdfunding, das wir nun abgeschlossen haben.

Was bedeutet Verantwortungseigentum in diesem Kontext?

CARLA   Ganz am Anfang hatten wir schon den Gedanken, dass wir bei Oktopulli Geld von Macht entkoppeln wollen. Das lässt sich in unserem kapitalistischen System eigentlich nur realisieren, wenn man sich ein Rechtskonstrukt schafft, in dem die Stimmrechte unabhängig von der Kapitalbeteiligung verteilt werden und das einen selbst und auch Investor:innen erst einmal davon abhält, Gewinne zu entnehmen. Dadurch werden bestimmte Anreizstrukturen gestrichen.

NANCY   So ein bisschen: Die Sache gibt es, weil es die Sache braucht und nicht, weil man damit unglaublich viel Geld machen kann.

CARLA   Die Kernidee hinter Verantwortungseigentum ist, dass das Unternehmen für seinen Zweck steht und sich nicht einzelne Personen daran bereichern.

NANCY   Bei Verantwortungseigentum wird auch die Verhältnismäßigkeit gefördert. Unsere Gehälter sind bedarfsorientiert ausgerichtet und diese können sich auch nach Bedarf ändern. Der Näher beispielsweise wird mehr Geld bekommen als ich, da sein Bedarf aufgrund seiner Rolle als Vater höher ist als meiner. Es geht nicht darum, dass man ein einfaches Leben führt und einem auf die Schulter geklopft wird, weil man was Tolles gemacht hat, sondern es geht immer um eine Verhältnismäßigkeit. Und diese ist in einer verantwortungsgeführten Unternehmung deutlich einfacher umzusetzen. 

Der ausgewachsene Oktopulli

Wie sieht Oktopulli in zehn Jahren aus, wenn ihr als Gründerinnen nicht ganz oben seid?

CARLA   Im Idealfall gibt es Oktopulli dann nicht mehr, weil es keine Reststoffe mehr gibt. Aber das glaube ich nicht. Wir beide – ich spreche jetzt mal von wir – sehen uns gar nicht unbedingt zehn Jahre bei Oktopulli, vielleicht eher fünf bis sieben. Wir haben die Hoffnung, dass da Menschen irgendwann stehen, die nicht nur selbst richtig Bock auf dieses Projekt haben, sondern etwas ganz Eigenes mitbringen, denen wir das dann übergeben können. Da wird uns dann auch das Verantwortungseigentum viel Stress abnehmen, weil wir einfach sagen können: »Hier, ich übergebe Dir meine Stimmrechte, ohne dafür viel Geld zu verlangen.« Da kann nichts gewinnbringend verkauft werden. Und die nächste Generation kann das Unternehmen auch nur nach den Grundsätzen des Verantwortungseigentums weiterführen. Das gibt uns die Sicherheit, dass bei Oktopulli – auch nach unserer Zeit – für den Unternehmenszweck und nicht für private Profite gewirtschaftet wird.

Wenn es keine Reststoffe mehr geben sollte, würdet ihr Oktopulli schließen …

NANCY   Nein, dann muss sich eben die Institution Oktopulli einen neuen Geschäftszweck suchen. Das ermöglicht auch das Verantwortungseigentum, da man nicht daran gebunden ist, was die Investor:innen von einem verlangen, sondern das Unternehmen existiert ganz und allein um des Zweckes Willen. Ist dieser obsolet, muss man sich eben verändern. Und unser Ziel ist es eigentlich, so gut über Überproduktion und Wegwerfkulturen aufzuklären, dass irgendwann der momentane Geschäftszweck von Oktopulli nicht mehr benötigt wird. Meine Vision ist, eine Institution auf die Beine zu stellen, die in sich rund und sinnig ist und trotzdem Platz hat für Veränderung. Und das so gut zu machen, dass Leute das von außen greifen und verstehen können. Wenn es irgendwo eine Person gibt, die das nachmacht, dann haben wir schon gewonnen.

Was ist Erfolg?

Wodran beurteilt ihr noch Euren Erfolg?

NANCY   Ach, an den vielen schönen Fotos, die wir kriegen, würde ich sagen. 

CARLA   Und an dem positiven Feedback von Kund:innen. Ich möchte nicht ein erfolgreiches Unternehmen haben, um erfolgreich im Sinne von Absatz und Umsatzzahlen zu sein, weil ich unfassbar viel Marketing betreibe. Wir wollen, dass das Produkt gekauft wird, weil es ein qualitativ hochwertiges Produkt ist, und die Kund:innen das weiterverbreiten. Ich habe jetzt keinen Bock mehr, Fernsehwerbung schalten zu müssen und Leuten in den Kopf zu pflanzen: »Oh, der Oktopulli ist auf jeden Fall das, was Du für Dein Kind brauchst!« Das soll schön jede und jeder für sich entscheiden. Aber es ist schwierig, da das richtige Maß zu finden. Wie bringe ich die Information von meinem Produkt in die Welt und wie gebe ich ein ausreichendes Bild davon, ohne zu manipulieren?

NANCY   Das ist wirklich etwas, das man nicht vergessen darf: wenn man Slow Fashion macht, aber dann die Leute mit Verkaufsargumenten zuballert, kann das auch ein irrationaler Konsum sein, der in einem Trend landet. Dann geht es nicht mehr um Slow Fashion, sondern darum, den Pulli zu haben, den das Nachbarskind auch hat.

Was würdet ihr tun, wenn so eine große Nachfrage entstünde?

NANCY   Wachstumsgrenze! Ich würde dann die breite Masse, die wir erreichen, nur dazu nutzen, um noch mehr Aufklärungsarbeit für Sea-Watch, unseren Spendenzweck und Slow Fashion zu leisten.

CARLA   Ich glaube auch, die Wachstumsgrenze wäre dann schon angebracht. Und dann ist es einfach so, dass es Wartezeiten gibt. Und was leer ist, ist leer. Fertig.

(K)ein rosaroter Ponyhof

Wie würde die Modewelt aussehen, wenn alle so handeln und denken würden wie Oktopulli?

NANCY   Wie ein rosaroter Ponyhof. Nein! Wenn viele Slow-Fashion machen und es hinkriegen, dass es für viele Menschen zugänglich ist und nicht so ein Luxusding bleibt, dann kriegen wir wieder ein ganz anderes Gefühl zu den Sachen, die wir tragen.

CARLA   Die Kleiderschränke würden sich verkleinern. Und vielleicht strahlt das auch auf andere Bereiche aus. Dann hat man vielleicht mehr Zeit für andere Dinge und es würden vielleicht auch weniger neue Pax-Ikea-Schränke gekauft. Meine Hoffnung ist mehr Sensibilität für die Dinge, die man kauft. Es wäre dann nicht mehr dieses superschnelle, unbedarfte Kaufverhalten.